Band I - Erster Teil Gott der Vater
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vor Gott. Sie ist keine Erniedrigung und Demütigung, sondern Ermächtigung zu einem Sein aus Gott und auf Gott hin. Das II. Vatikanische Konzil spricht darum von einer recht verstandenen Autonomie der Welt und ihrer verschiedenen Bereiche (vgl. GS 36; 41; 56; 76; AA 7). Das bedeutet, daß der Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und den anderen Weltbereichen ein relativer Eigenstand, eine eigene Wahrheit, Gutheit, Ordnung und eine Eigengesetzlichkeit zukommt. Der Mensch muß die eigene Würde der Geschöpfe und ihrer Rhythmen respektieren; er darf nicht beliebig schalten und walten. Der Christ muß sich in der Welt und in den verschiedenen Bereichen der Welt sachgerecht verhalten. Der Wille Gottes begegnet ihm konkret in den Ordnungen und Strukturen der Welt und durch sie hindurch. Der recht verstandene Eigenstand, von dem das Konzil spricht, muß freilich unterschieden werden vom Anspruch auf absolute Autonomie der Welt von Gott. Diese Auffassung des modernen Säkularismus ist mit dem Glauben an die Geschöpflichkeit der Welt unvereinbar.

6. Der Sinn der Schöpfung. Da die Schöpfung ganz aus Gott ist, ist sie gerade in ihrer Eigenständigkeit auch ganz für ihn da, zu seinem Ruhm und zu seiner Ehre. Der erste Sinn der Schöpfung ist die Verherrlichung Gottes. Besonders die Psalmen bringen diesen Gedanken immer wieder zum Ausdruck:
"Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus." (Ps 8,2)

"Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament." (Ps 19,2)
Im Lobgesang der drei jungen Männer, die der König Nebukadnezzar in einen Feuerofen werfen ließ, weil sie sich weigerten, ein von ihm errichtetes Götzenbild anzubeten, wird die ganze Schöpfung - Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, Tau und Regen, Blitz und Wolken, alles, was ist - aufgerufen, Gott zu preisen: "Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!" (Dan 3,57). Das Lob Gottes aus der Schöpfung begegnet uns in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte immer wieder. Am bekanntesten ist
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