Band I - Erster Teil Gott der Vater
Seite 104 Seite: 105 Seite 106
erniedrigt. Im Gegenteil, in Gottes Vorsehung ist das Bittgebet von Ewigkeit vorgesehen und einbezogen. Gottes allmächtige Vorsehung schaltet die Initiative des Menschen nicht aus, sondern bezieht sie ein und nimmt sie in Dienst. Wenn daher der Mensch im Bittgebet seine Situation vor Gott trägt, darf er sich der Erhörung von vornherein gewiß sein. Jesus selbst sagt uns:
"Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, daß ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil." (Mk 11,24, vgl. Mt 7,7; 21,22; Lk 11,9)
Viele werden erstaunt fragen: Wenn Gott grundsätzlich jedes Gebet erhört, wie steht es dann mit den Gebeten, die - scheinbar oder wirklich - nicht erhört werden, wo Gott schweigt, obwohl wir ihn vielleicht geradezu bestürmt haben? Die Antwort ist nicht leicht. Aber im Licht der sehr klaren Aussagen Jesu müssen wir antworten: Gott erhört jedes Gebet in einer all unser Hoffen übertreffenden Weise. Wenn er deshalb ein Gebet nicht in der Weise erhört, wie wir es wünschen, dann deshalb, weil dieser Wunsch noch nicht unserem wahren Besten entspricht. Der hl. Augustinus drückt diesen Gedanken so aus: "Gut ist Gott, der oftmals nicht gibt, was wir wollen, auf daß er uns gebe, was wir lieber wollen sollten." Die hl. Theresia von Lisieux sagt deshalb: "Und wenn du mich nicht erhörst, liebe ich dich noch mehr." Gerade wenn Gott unsere Wünsche korrigiert, unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe vertieft, versöhnt er uns im Gebet doch mit unserer Situation und schenkt uns einen Frieden, der alles Verstehen übersteigt (vgl. Phil 4,7).

Das alles zeigt, daß Gottes Vorsehung letztlich sein Geheimnis bleibt, das Geheimnis des je größeren Gottes und seiner je größeren Liebe. Der Vorsehungsglaube löst die Rätsel des Daseins nicht einfach auf und macht sie nicht einfach durchsichtig. Er gibt uns weder Einblick in die Gedanken Gottes, noch erklärt er uns die Einzelheiten von Gottes Fügungen und Führungen in der Welt. Er macht uns auch unsere eigene Lebensgeschichte nicht durchsichtig, so daß wir über allem stünden und Dunkelheit und Anfechtung uns erspart würden. Gott ist gerade in der Lenkung der Geschichte ein verborgener Gott (vgl. Jes 45,15).
Seite 104 Seite: 105 Seite 106