Band I - Erster Teil Gott der Vater
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Wirklichkeit, der Wirklichkeit des Heiligen und des Göttlichen. Ihr begegnet er mit Scheu und Ehrfurcht, aber auch mit Vertrauen und Hinneigung. Ihr verdankt er alles. Das gibt ihm Geborgenheit, läßt ihn festen und feiern. Für die Religionen ist also der Mensch und die sichtbare Welt nicht die einzige Wirklichkeit. Welt und Mensch gehören hinein in einen umfassenderen Lebens- und Wirklichkeitszusammenhang. Die sichtbare Welt ist nur wirklich durch Teilhabe an der unsichtbaren Welt des Heiligen und Göttlichen. Die religiösen Erzählungen und Symbolhandlungen sollen diesen bergenden Grund allen Daseins vergegenwärtigen. Oft haben die Religionen freilich auch das Bild Gottes verfälscht und ihm die Fratze des Dämonischen gegeben. Statt Freude und Hoffnung haben sie oft den Menschen Angst eingejagt und sie unfrei gemacht. Dennoch fanden die Menschen in den religiösen Riten über Jahrtausende hinweg die Kraft, um Freud und Leid, Gutes und Böses, Leben und Sterben zu bewältigen, und noch heute geben die Religionen Millionen von Menschen Sinn und Halt, Grund und Ziel für ihr Leben.

3.2 Moderne Religionskritik

Schon in der Vergangenheit hat es immer wieder Menschen gegeben, die den Götterglauben in Frage stellten und die religiöse Praxis kritisierten. Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert hat sich die Religionskritik zunehmend verschärft. Zum Atheismus als Massenphänomen und zu dem Versuch, das gesellschaftliche Leben auf einer religiös neutralen oder gar atheistischen Grundlage aufzubauen, ist es erst seit dem Ende des letzten Jahrhunderts gekommen. Dieser Atheismus der Massen gehört heute zu den ernstesten Gegebenheiten. Dabei geht es nicht nur um den Atheismus der anderen, sondern auch um den Atheismus im eigenen Herzen. Wenn wir ehrlich sind, müssen auch wir Christen zugeben, daß uns die Erfahrung der Abwesenheit Gottes bedrückt, daß wir oft nur noch sein Schweigen vernehmen, daß uns Gott in der Profanität unserer alltäglichen Wirklichkeit kaum mehr erfahrbar ist. Auch wir leben weithin, als ob Gott nicht wäre. Ist er nicht auch oft für uns praktisch tot?

Es waren vielfältige Ursachen, die zu dieser Situation geführt haben. An erster Stelle ist der Zusammenbruch des Weltbildes der Antike und des Mittelalters, das auch in der Bibel vorausgesetzt
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